In Memoriam Sr. Alberta Volz


[This blog will stay English. This post is personal and an exception.]

Am 29. Oktober starb Sr. Alberta Volz, die in meiner Schulzeit am St. Bonaventura-Gymnasium in Dillingen an der Donau für zwei Jahre meine Klavier- und später auch Musiklehrerin war. Die Hälfte der Welt ist on-line, aber Google findet auch überhaupt nichts über sie, die doch auf Generationen von Jugendlichen einen so großen Einfluss hatte. Das kann nicht sein. Deswegen schreibe ich diese Zeilen, wenn ich auch seit langem neun Zeitzonen entfernt zu Hause bin, und sie das letzte Mal vor 15 Jahren sah.

Es muss in der nachmittäglichen Klavierstunde in der achten Klasse gewesen sein. Ich hatte im Schulkonzert am Abend zuvor ein Stück auf der Geige gespielt, und wollte von ihr einen anerkennenden Kommentar hören. Den bekam ich wohl auch, habe ihn aber vergessen, weil sich der zweite Teil dessen, was sie sagte, so eingeprägt hat: “…aber dein Ton hat mir überhaupt nicht gefallen.” Für einen Geiger, und einen Jugendlichen, so etwas von einem respektierten Lehrer zu hören, war vernichtend. Ich habe eine lange Zeit daran gebissen. Und nach Überwindung meines verletzten Stolzes habe ich schliesslich etwas entscheidendes gelernt, das mit mir geblieben ist:

Direkt ausgeprochenes und unbeschönigtes Feedback ist unglaublich nützlich. Es ist hart, für den, der es sich anhören muß, und – wie ich später herausfinden mußte – oft noch härter für den, der es ausspricht. Es ist so nützlich, weil es Motivation schafft: Motivation, die “offensichtlich falsche” Meinung zu widerlegen, und Motivation, das Problem so gründlich zu lösen, daß niemals wieder einer so etwas sagen soll. Damit das nicht in Feindschaft ausartet, sind zwei Dinge unerlässlich: der, der die Meinung ausspricht, muß unzweifelhaft kompetent sein, eine Meinung zum Thema zu haben. Und zweitens muß er auch kommunizieren, daß er vollständiges Vertrauen in die Fähigkeiten des Empfängers hat, das Problem ohne grössere Schwierigkeiten in den Griff zu kriegen. Als eine der wenigen, Sr. Alberta hatte beides.

Dieses Vertrauen ist es, worin sich Generationen von Schülern vielleicht am meisten an Sr. Alberta erinnern werden. Sie hatte diese unglaubliche, unerschütterliche Zuversicht in die Gut-heit der Menschen und des Lebens, die ansteckend war. Viele wurden einfach froher, wenn sie da war. Ich kann mich noch an viele Schultage erinnern, an denen vieler meiner sonst nicht besonders an der klassischen Musik interessierten Mitschülern das gemeinsame Singen einiger Schubert’scher Kunstlieder der Höhepunkt des Schultages war. Man stelle sich das einmal vor. Auch die Atheisten hatten niemals einen Einspruch, wenn sie ab und zu plötzlich alle zum Gebet aufforderte, einfach weil der Tag ein schöner war. Das war ihre Ausstrahlung, eine Ausstrahlung, die wenige Menschen je besitzen, und, wie ich auch von meinen damaligen Mitschülern weiss, einen grossen, oft lebenslangen Eindruck machte.

Einmal kam ich ihr in die Quere, als sie uns in der Oberstufe die Sonatenform anhand der kleinen C-Dur Mozart-Klaviersonate erklären wollte, und ich im Unterricht so lange auf sie einredete, bis sie mich den ersten Satz für die Klasse an ihrer Stelle vom Blatt spielen lies. (Das war leicht unverschämt, und eine große Möglichkeit, mich vor meinen Klassenkameraden und ihr zu blamieren, lief aber ohne Katastrophe ab, wenn ich mich richtig erinnere. Sie sagte hinterher nur: “ich bin mir sicher, wenn Du das geübt hättest, hättest Du es noch schöner gespielt.” Womit sie recht hatte, aber ich hatte ja nicht gewusst, dass ich das tun würde.)

Von ihr habe ich gelernt, direktes und unmissverständliches Feedback zu geben und zu empfangen. Nur viel später fand ich, dass es eine wichtige Kompetenz für Manager ist. Jedesmal, wenn ich selber Feedback gebe, denke ich dabei an sie, und wie sie es verstand, ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten trotz der Kritik gleichzeitig mitauszudrücken. Das ist deutlich schwieriger als einen Sonatensatz vom Blatt zu spielen! Welche Lektionen seiner Klavierlehrerin in einem nach all den Jahren am meisten hängen geblieben sind! Aber obwohl ihr vom Orden erstellter Nachruf die Musik in den Mittelgrund stellt, und wie ich von meinen Klassenkameraden weiss, war sie viel mehr noch als eine Musiklehrerin: sie war ein Leitbild, ein Beispiel von Glauben an die Welt und das Gute und die Fähigkeiten der Menschen. Sie hat viel in uns allen hinterlassen.

Requiesce in pace, Sr. Alberta. Danke.

[Und falls dies einer meiner Lateinlehrer lesen sollte: ist das die korrekte Verbform? Ich hoffe doch…]